Jahresbericht 2022
Von guten Mächten wunderbar geborgen
Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.
Noch will das alte unsre Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwere Last. Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das du uns geschaffen hast.
Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand.
Doch willst du uns noch einmal Freude schenken an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz, dann wolln wir des Vergangenen gedenken, und dann
gehört dir unser Leben ganz.
Laß warm und hell die Kerzen heute flammen, die du in unsre Dunkelheit gebracht, führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen. Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.
Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so laß uns hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all deiner Kinder hohen Lobgesang.
Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiß an jedem neuen Tag.
Dietrich Bonhoeffer
Die Adventszeit ist immer schon immer eine Zeit des Wartens für uns alle gewesen. Noch im letzten Jahr zündeten wir in jedem unserer drei Tageszentren in gespannter Vorfreude eine Kerze nach der anderen an, die Kinder öffneten mit Spannung täglich die Adventskalender und freuten sich auf die gemeinsamen Weihnachtsfeiern.
Keiner – wirklich keiner – hätte gedacht, dass das Jahr 2022 so große Veränderungen, soviel Leid, Schmerz und Hoffnungslosigkeit bringen würde. Das was wir zusammen mit allen Ukrainern in den vergangenen 10 Monaten erleben, ist kaum in Worte zu fassen.
Das Warten ist in diesem Jahr ein ganz anderes geworden. Wir warten darauf, dass der abscheuliche Angriffskrieg zu Ende geht. Wir warten darauf, geliebte Menschen wiederzusehen. Wir warten darauf, unser „altes Leben“ in irgendeiner Form wieder zurück zu bekommen. Was natürlich ein unerfüllbarer Wunsch ist. Es wird nie wieder so werden wie es vor dem Krieg war. Das steht leider fest.
Während wir diese Achterbahn an Gefühlen, enttäuschten Erwartungen und der Unfähigkeit die Zukunft zu planen, weil so wenig von uns abhängt, gemeinsam durchleben, spüren wir dennoch die Gegenwart der guten Mächte, von denen Dietrich Bonhoeffer in seinem Gedicht schreibt. Die tröstende Gegenwart Gottes, die uns weiterhin lebendige Hoffnung schenkt und uns auch in diesem Jahr geführt hat.
Deshalb können wir trotz allem davon berichten, dass wir dennoch weiter Samen der Hoffnung ausgesät haben und Familien, Kindern und Jugendlichen beistehen durften und dürfen.
Die Hauptaufgabe sehen wir im Moment darin, die „Wartezeit“ für die Ukrainer erträglich und leichter zu machen, egal ob sie zu den Millionen geflüchteten Menschen gehören oder ob sie sich weiter in den umkämpften Gebieten aufhalten.
In den folgenden Zeilen wollen wir noch einmal auf die wichtigsten Ereignisse des zu Ende gehenden Jahres zurückblicken. Dabei erfüllt uns große Dankbarkeit für alle Unterstützung und Liebe, die wir von so vielen Menschen aus den verschiedensten Teilen der Welt erfahren durften. Danke!!
24. Februar 2022 – ein Tag der alles veränderte
In dieser Nacht wurden wir davon geweckt, dass Raketen in unserer Stadt einschlugen. Ein Moment den man sich nicht vorstellen kann. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals solche Angst gespürt zu haben. Dann mussten sehr schnell wichtige Entscheidungen getroffen werden. In unserem Fall entschieden wir uns, dass ich (Nicole) mit Frauen und Kindern nach Deutschland flüchte, um Hilfe für ankommende Ukrainer zu leisten und dass Slavik in der Ukraine bleibt und sich weiter um Menschen und Angelegenheiten vor Ort kümmert. Diese Entscheidung liegt mehr als 10 Monate zurück. Leider haben wir uns seither nicht wiedergesehen.
Nach einer nervenaufreibenden dreitägigen Flucht über Moldawien, Rumänien, Ungarn, die Slowakei und Tschechien kam ich am 28.02. mit den ersten 20 Leuten im Erzgebirge an. Bald darauf folgten viele Weitere. Sogar ein Reisebus brachte am 03.03.2022 eine große Gruppe nach Hermannsdorf. Circa 20 Ukrainer wurden liebevoll von einer befreundeten christlichen Gemeinde in Luxemburg aufgenommen. Danke ANCL!
Nun wurde das Pfarrhaus in dem ich meine Kindheit und Jugend verbracht hatte, zum neuen Heim für 37 ukrainische Frauen und Kinder. Die Hilfe vor Ort war überwältigend und vielfältig. Es ist unmöglich, in diesem Jahresrückblick allen namentlich zu danken.
Deshalb richtet sich unser Dank an alle, die uns in diesem Jahr durch praktische Hilfe, finanzielle und materielle Unterstützung, Anteilnahme und Gebete beigestanden haben. Wir sagen von Herzen „Danke“.
In diesem Jahr konnten wir weit mehr als 100 Geflüchteten beim Zurechtfinden in ihrer neuen Umgebung begleiten unter anderem bei Arztbesuchen, beim Ausfüllen von unzähligen Anträgen und Formularen, beim Erledigen von Hausaufgaben, beim Einrichten von Wohnungen und Zimmern, beim Bewerben, bei Behördengängen und vielem mehr.
Viele Familien haben inzwischen einen festen Tagesablauf. Alle Kinder wurden sehr freundlich in den Schulen aufgenommen, die Auszubildenden haben tolle Arbeitgeber und die meisten Frauen lernen fleißig Deutsch.
Bei all diesen positiven Momenten schwingt jedoch meistens eine tiefe Traurigkeit mit. Die Sehnsucht nach dem Leben vor dem Krieg, nach geliebten Menschen, die wir zurückgelassen haben ist immer da. Ein neunjähriges Mädchen, dass ich vor einiger Zeit nach ihrem Geburtstagswunsch fragte antwortete mir, dass sie sich außer einer Fahrkarte zu ihrem Papa in die Ukraine Nichts wünschen würde.
Aufgrund der vermehrten Angriffe auf die Infrastruktur der Ukraine wird das Überleben dort immer schwieriger. Slavik berichtet oft von Schwierigkeiten im Alltag, die wir uns hier im Westen gar nicht vorstellen können. Einigen Menschen lassen wir Hilfe in Form von Medikamenten, warmer Kleidung, Hilfszahlung zur Deckung der Nebenkosten u.a. zukommen. Anderen hilft er beim Finden von Arbeit.
Wir haben uns auch schon an einigen Hilfstransporten beteiligt. So konnten wir in den vergangenen Monaten viele Lebensmittelkonserven, Thermosocken und Unterwäsche, Powerbanks und Taschenlampen, Generatoren und medizinische Materialien auf die Reise schicken. Wir arbeiten mit kleinen lokalen Organisationen zusammen, die teilweise die Hilfsgüter bis an die Frontlinie bringen. Vor Weihnachten konnten wir 300 wunderschöne Weihnachtsgeschenke nach Charkiv und Luzk schicken. Diese Päckchen sollen in diesem Jahr Kindern mit Behinderungen und Kriegswaisen das Fest ein wenig verschönern.
Was bringt die Zukunft?
Diese Frage wird mir fast täglich gestellt und ich habe keine Antwort darauf. Wenn uns das vergangene Jahr eines gelehrt hat, dann dass unsere Pläne von einem Tag auf den anderen zunichte gemacht werden können und dass es eben Vieles gibt, das wir als Menschen nicht in der Hand haben. Ohne die Kraft und die Zuversicht, die uns in diesen Monaten durch unseren Glauben geschenkt wird, hätten wir keine Kraft für die Zukunft. Aber weil wir uns von guten Mächten wunderbar geborgen wissen, erwarten wir getrost was kommen mag.
Seit unserer Ankunft im Erzgebirge treffen wir uns jeden Sonntagabend mit den Ukrainern, die im Pfarrhaus leben zur Bibelstunde. Wir erleben, dass uns diese regelmäßigen Treffen und das gemeinsame Gebet Mut für die Zukunft geben.
Diese Zuversicht und Hoffnung wünschen wir auch Jedem, der diese Zeilen liest.
Mit Gottes Hilfe wollen wir auch im Neuen Jahr, Menschen durch schwere Lebenslagen begleiten und Hoffnung verbreiten.
Wir wünschen Euch allen Gottes Schutz und Segen im Neuen Jahr!
Nicole & Slavik Borisuk
Stimmen von Ukrainern
im Erzgebirge
„Ich bin dankbar, dass meine Kinder hier gut versorgt sind. Sie haben einen Platz in einer guten Schule und einen Ausbildungsplatz. Das macht mich froh.“
Mutter, 38
„Ich finde keine Worte, meinen Dank gegenüber allen auszudrücken, die uns hier so freundlich aufgenommen haben. Wir haben es warm und wir haben alles, was wir zum Leben brauchen. Die Kinder sind in der Schule oder machen eine Ausbildung. Gott segne Euch alle für Eure Hilfe und Gastfreundschaft“
Großmutter, 59
„Wir möchten allen danken, die
unsere Familien unterstützen.“
Jugendlicher, 17
„Danke für alle Herzenswärme. Dass Ihr uns schon so eine lange Zeit unterstützt. Danke, dass Ihr meiner Tochter helft, an einem
tollen Ort zu studieren.“
Mutter, 53